Der Umbau des Diakoniehauses 2006–2008
Was im Jahre 1905 so alles wichtig war
Volkskalender bei Umbauarbeiten in Roßtal entdeckt – Zunächst für Altpapier gehalten
„Untrügliche Witterungs- und andere Regeln für den Bürger und Landmann“, „Der Volksmann Karl Crämer-Doos“ oder der israelische Kalender für die Jahre 5665 und 5666 – entdeckt wurde dies alles bei Umbauarbeiten in Roßtal in einem Volkskalender aus dem Jahr 1905.
ROSSTAL – Beim Abschlagen des Putzes in einem Raum der künftigen Kindertagesstätte in der Richtersgasse fiel den Helfern des Diakonievereins plötzlich eine gefaltete, vergilbte Loseblattsammlung entgegen. Sie war aus einer Mauernische gepurzelt, und zunächst hielten es die Männer für wertloses Altpapier. Erst auf den zweiten Blick entpuppte es sich als ein geschichtliches Dokument.
„Vermutlich wurde es beim Bau des Hauses eingemauert“, mutmaßt Reinhard Bär, zweiter Vorsitzender des Roßtaler Diakonievereins. Damit ließe sich dann auch die Bauzeit des Hauses auf 1905 festlegen, denn für dieses Jahr gilt der Kalender, den ehemals eine Nürnberger Buch- und Kunstdruckerei herausgegeben hat.
Aus dem Jahresbegleiter von 1905 erfahren die heutigen Nachkommen, dass damals kein Porto für Briefe an Soldaten erhoben wurde. Für Weltpost hingegen, und die ging in alle Länder außerhalb von Deutschland, Österreich und Ungarn, musste mit 20 Pfennigen tiefer in die Tasche gegriffen werden.
Und wer die Tarife aus der Kaiserzeit ganz genau studiert, kann einen kleinen Ausflug in die Geschichte machen: „Erythrea“ als italienische Kolonie, Australien und Indien waren ganz britisch, und Istanbul hieß noch Konstantinopel.
Sonst noch wissenswert waren 1905 die Namenstage, getrennt für Protestanten und Katholiken. Der konfessionsübergreifende Kalender berücksichtigt auch die jüdischen Gläubigen, die sich 1905 nach ihrer Zählung bereits in den Jahren 5665/5666 befanden.
Welt des Hochadels
Wer sich der Welt des Hochadels auskennen wollte, wurde ebenfalls nicht im Stich gelassen. Schließlich war Deutschland noch ein Kaiserreich. Die wichtigen Personen aus dem Haus Wittelsbach und der herzoglichen Linie Bayern werden vorgestellt.
Doch nicht nur über die „ganz oben“ informierte der Volkskalender, er hatte auch eine Aufgabe, nämlich „das Andenken an große Männer zu pflegen … schon um die Jugend zu erziehen“. Porträtiert wurde zu diesem Zwecke der „Volksmann“ Karl Crämer-Doos. Crämer war Mitglied der Deutschen Fortschrittspartei, und der Kalender wagt die Prognose, dass er „in der Geschichte des Deutschen Reichstages an erster Stelle“ stehen werde. Weitere Artikel über den bayerischen Landtag und aus dem Reichstag lassen den Schluss zu, dass der Kalender auch Wahlwerbezwecken der Deutschen Fortschrittspartei diente.
Doch genug von der schnöden Politik, eine Erzählung von Peter Rosegger stimmt auf das Weihnachtsfest ein und die Witterungsregeln sind eher heiter. Die heutigen Leser mag es trösten, dass es die aktuellen Probleme schon damals gab. Zum Thema Geldnöte hält der Kalender folgenden Tipp bereit: „Im Februar kon sich a jeder ergötzen, langt's Gold nit, koh mer joa 's Bett versetzen.“ Oder Lebensmittelskandale: „Im Oktober keltert mer in Wei, thät fei nit su viel Wasser nei.“ Schließlich die Gesundheitsreform: „Wenn su die kalt'n Nebel zoig'n, konnst Houst'n und Katarrh leicht kröig'n.“
So viel Lebensweisheit soll nicht verloren gehen, deshalb wird der Kalender zusammen mit einer aktuellen Zeitung kurz vor der Einweihung der Kleinkindergruppe in der Richtersgasse 33 erneut eingemauert. Wer an einer Kopie gegen eine Spende für den Umbau interessiert ist, wendet sich an Elisabeth Helmreich, Telefon 09127 5709817.
BEATE DIETZ
Quelle: Fürther Landkreisnachrichten v. 20.10.2006 S. 2