Alfred Steinheimer

In alten Protokollbüchern geblättert

Bei der Durchsicht alter Vereinsunterlagen erfährt man die gewählten Vorstände, die Lage der Finanzen sowie die geplanten und abgeschlossenen Aktivitäten. Die oft in akurater Schrift, manchmal weniger gut leserlich gefertigten Besprechungsniederschriften zeigen das Werden und Wachsen eines Vereins, die Höhepunkte und Rückschläge und auch mancherlei Kuriositäten und Sonderheiten der Zeit. So seien nachfolgend aus den Niederschriften des im Jahre 1908 gegründeten Diakonievereins einige Begebenheiten und Ereignisse aus den ersten zwanzig Jahren seines Bestehens vorgestellt.

Die dünne Finanzdecke des Vereins, die im Gegensatz zu den hehren Plänen und Absichten dieser sozialen Einrichtung bestand, zwang zu allerlei Überlegungen. So wie heute noch der Staat durch Lotterie, Lotto und Spielbanken sich ein regelmäßiges Steueraufkommen verschafft, überlegten auch die Gründungsväter des Diakonievereins, etwas Ähnliches zu tun, wie es im übrigen damals in allen Vereinen gehandhabt wurde. Der Frisör Albert Bachmann kam ein knappes Jahr nach der Vereinsgründung auf die Idee, daß eine „Glücksbude“ angeschafft werden solle, was der Vorstand genehmigte und der Zimmermann Wackersreuther für 177,40 Mark verwirklichte.

Das Unternehmen florierte so, daß nicht nur am Kirchweihsonntag, sondern auch anläßlich des Ostermarktes den Roßtalern die Gelegenheit geboten wurde, für einen guten Zweck ihr Glück zu versuchen. Weihnachtsfeiern mit Christbaumverlosungen kamen noch dazu und fanden so regen Zuspruch, daß im Jahre 1909 die „sonn- und werktägige Jugend“ ausgeschlossen und für sie eine eigene Feier anberaumt werden mußte.

Im Februar 1910 sollte eine eigens dafür gegründete Kommission sich Gedanken machen, wie wohl die Einrichtung einer „Kinderbewahranstalt“ verwirklicht werden könnte. Ein Bahngrundstück an der Wegbrücke wurde erworben, der Grundstückspreis hierfür betrug pro Dezimal, was einer Fläche von 34 qm entspricht, 30 Mark, und ein Mitglied des Diakonievereins, der Bahnmeister Krauß, fertigte die Pläne.

Das Bauvorhaben sah neben den Räumlichkeiten für die „Kinderbewahranstalt“ auch solche für die Krankenschwester vor. Von Erich Kästner stammt der Ausspruch, der auch hier zutraf: „Je üppiger die Pläne blühen, desto verzwickter wird die Tat“. Roßtal, damals noch Roßstall, besaß dazumal (1910) noch keine zentrale Wasserversorgung und die vom königlichen Bauamt in Fürth auszusprechende Baugenehmigung wurde davon abhängig gemacht, ob das von einem noch zu bohrenden Brunnen zu erhaltende Wasser den Gesundheitsvorschriften entsprach. Die Baubehörde empfahl dem Vorstand, doch zu überlegen, ob nicht ein günstigerer Platz für das Vorhaben gefunden werden könne. Zu diesem Schritt entschloß man sich dann auch, verkaufte das genannte Bahngrundstück und erwarb das „Kellersche Anwesen“, für das wiederum der schon genannte Bahntechniker die Umbaupläne erstellte. Drei Jahre nach der Beschlußfassung, am 18.9.1912, konnte die „Kinderbewahranstalt“ eröffnet werden, für die der Vorstand ein bemerkenswertes Statut verfaßte. Der 1. Punkt lautete:

„Zweck der Kinderbewahranstalt ist, die Kinder vor den Gefahren des Leibes und der Seele zu bewahren, den Grund zu einer guten Erziehung zu legen und den Eltern die Möglichkeit zu verschaffen, daß sie unbesorgt den Tag über ihrer Arbeit nachkommen können“.

Wie dürftig es damals noch allgemein um die Hygiene bestellt war, zeigt ein Beschluß vom März 1914. Der dem Vorstand angehörende Arzt Dr. Dippold forderte für die Krankenpflege die Anschaffung von 2 Badewannen aus Zinkblech, eine für Erwachsene, eine für Kinder, die ausgeliehen werden sollen.

Gleich zu Beginn des Weltkrieges, im August 1914, wird die Krankenschwester zur Pflege verwundeter Soldaten abberufen, die „Kinderschwester“ durfte verbleiben. Eine „Gehilfin“, die das Mutterhaus im Oktober 1915 zur Verfügung stellen kann, erhält einen „Lohn“ von 12 Mark im Monat, aber der Verein zahlt ihre Beiträge für die Invaliden- und Krankenkasse.

Im Jahre 1919 wird der Wochenbeitrag je Kind von 20 Pfennigen auf 30 Pfennige erhöht und so langsam zeigen sich im Verfall der Währung weitere Folgen des verlorenen Krieges. Im November des gleichen Jahres wird für die Anmietung eines Saales für einen Familienabend bereits ein Betrag von 100 Mark gefordert und der Mitgliedsbeitrag des Vereins soll von 2 Mark jährlich auf 10 Mark erhöht werden, was nach Meinung des Kassiers noch nicht ausreicht, um den Verpflichtungen nachzukommen.

Welche Art von Sport betrieben wurde, ist nicht bekannt. Jedenfalls stellte der Turnverein im Oktober 1922 den Antrag, am Montag und Donnerstag von 20.00-22.00 Uhr den Saal der Kinderschule benützen zu dürfen. 60 Mark wolle der Turnverein dafür bezahlen und der Diakonieverein, der für seine Arbeit dringend Geld benötigt, gibt seine Zustimmung.

Im Jahre 1923 bricht die Währung völlig zusammen. Die im Diakonievereinshaus noch wohnenden Mieter sollen ab Juni 1923 einen Teuerungszuschlag von 8230 % (!) leisten und das „Wochenschulgeld“ für die Kinder beträgt nun 300 Mark. Wenig später kann die „Kinderlehrerin“ nicht mehr nach Hause fahren, die Fahrtkosten sind zwischenzeitlich auf 16 Millionen Mark gestiegen und der Vorstand „sieht es als seine Ehrenpflicht an, das fehlende Fahrgeld zu ersetzen“. Im September 1923 wird der Jahresbeitrag für die Mitglieder auf 10 Millionen Mark erhöht, tröstlich ist aber, daß die Zahlung in zwei Raten erfolgen kann.

Die Kirchenverwaltung legt zur gleichen Zeit ihre Pachtpreise in Naturalien fest und nennt neue Gebührensätze: Für ein einfaches Grab auf dem heutigen Laurentiusfriedhof sind 500 Millionen Mark und für ein Doppelgrab 800 Millionen Mark zu entrichten. Weiter sieht die Gebührenordnung für das Läuten bei einer Taufe ab 1. Oktober 1923 einen Betrag von 500 000 Mark, bei einer Hochzeit 10 Millionen Mark vor. Eine Beerdigung mit Grabrede und Predigt wurde mit 10 Millionen Mark angesetzt. Von all den aufgeführten Beträgen erhielten die Kirchenstiftung und der Mesner je die Hälfte. Der Verfall der Währung geht jedoch weiter. Am 25. November 1923 wird der Vorstand ermächtigt, von einem hiesigen Darlehensverein eine Schuld bis zu 10 Billionen Mark aufzunehmen, um die Verpflichtungen des Vereins erfüllen zu können. Der Mitgliedsbeitrag wird im Dezember 1923 auf 1 Billion Mark erhöht.

Im Dezember fand trotzdem ein Weihnachtskrippenspiel statt, das aber einen merkwürdigen Niederschlag im Protokollbuch gefunden hat: Der Vorstand beschließt einstimmig, die anläßlich des Krippenspieles entstandenen Schäden an zerbrochenen Stühlen zu begleichen und die Kosten für die zerbrochene Hirtenflöte zu übernehmen. Kam es zu handfesten Auseinandersetzungen zwischen den Hirten und den Zuschauern? Die Niederschrift schweigt und Zeitgenossen wird es kaum mehr geben, die uns die Gründe für die entstandenen Schäden nennen könnten.

Im folgenden Jahr festigt sich mit der Einführung der Rentenmark die finanzielle Situation des Diakonievereins. Die Mobilität der Krankenschwester wird im Jahre 1927 mit der Anschaffung eines Fahrrades verbessert. Im Juni 1929, das Haus war noch nicht an die Wasserversorgung angeschlossen, war die Aufregung groß, als der Brunnen versiegte. Man versuchte auf die billigste Art, dem Übelstand abzuhelfen, weil der Anschluß an die Wasserleitung unmittelbar bevorstand.

Die harten Jahre des Aufbaues der Diakonieeinrichtung waren damit abgeschlossen. Kriegs- und Nachkriegsjahre und ein erneuter Währungsverfall brachten wieder eine Reihe von Problemen. Heute, mehr als 50 Jahre nach dem völligen Zusammenbruch, hat sich in den Jahren des Aufbaues und der Weiterentwicklung der Diakonieverein zu einem beachtlichen „Unternehmen“ entwickelt, dessen Leistungen im Juli 1998 anläßlich seines 90jährigen Jubiläums gewürdigt wurden.